Eine tragfähige Beziehung ist das Fundament für Bildungs- und Lernprozesse in Krippe, Kindergarten, Hort…
Kinder lernen in jungen Jahren am besten und effektivsten, wenn sie eine tragfähige Beziehung zu einer oder mehreren Bezugspersonen haben.
Warum ist das so?

Kinder fühlen sich dadurch sicher und können sich aufmachen, Lernerfahrungen in ihrer Lebenswelt zu sammeln. Daneben wissen sie auch, dass sie jederzeit zurückkommen können, wenn sie eine Emotion erleben, die sie (noch) nicht alleine regulieren können, um Ko-Regulation zu erhalten und auch „aufzutanken“. Danach kann die Lebenswelt weiter erkundet werden, um wichtige Bildungs- und Lernerfahrungen zu sammeln.
Kinder kommen nicht nur zurück, wenn Sie negativ erlebte Emotionen spüren und Ko-Regulation benötigen. Sie kommen auch zurück, um ihre Bildungs- und Lernerfahrungen zu teilen und zu berichten. So festigen sich die neuen Bildungs- und Lernerfahrungen, insbesondere wenn sich Bezugsperson und Kind gemeinsam über den Lern(fort-)schritt/die neue Lernerfahrung freuen. Jetzt kann auch eine kleine Meta-Kommunikation und/oder Reflexion über das neu erworbene Wissen stattfinden.

Wie entsteht eine tragfähige Beziehung?
Der Beziehungsaufbau findet in der Regel in der Eingewöhnung statt. Wenn das Kind und die Familie/eingewöhnende Bezugsperson sich gesehen und wahrgenommen fühlt, kann es Vertrauen zur (neuen) Bezugsperson entwickeln. Auf dieser Basis kann die tragfähige Beziehung entstehen. Das braucht in der Regel Zeit. Erst wenn das Kind bereit ist, die neue Bezugsperson als solche zu akzeptieren, kann der Beziehungsaufbau gelingen.
Es darf nicht vergessen werden, dass das Kind in der Eingewöhnung eine Transition durchmacht, also dabei ist, eine neue Rolle zu lernen. Das kann verunsichern und/oder negativ erlebte Emotionen auslösen. Dann braucht das Kind die familiale Bezugsperson zur Begleitung und Regulation. Ein Kind, das im Stress und/oder einer negativ erlebten Emotion „gefangen“ ist, kann kein Vertrauen in neue, ihm noch unbekannte Personen entwickeln.

Kann die neue Bezugsperson etwas dafür tun?
Ja. Es ist wichtig, Beziehungsangebote zu machen, ohne das Kind zu drängen und den Beziehungsaufbau beschleunigen zu wollen. Das stresst das Kind mehr und verhindert einen Vertrauensaufbau.
Daneben ist es wichtig, das Kind zu beobachten, um Beziehungsangebote des Kindes wahrnehmen zu können und als solche zu erkennen. Beziehungsangebote von Kindern sollten positiv beantwortet werden.
Insgesamt hilft es, wenn sich die Bezugsperson für das Kind vorhersehbar verhält, das bedeutet konkret, ihr Verhalten versprachlicht, Strukturen benennt.

Der Beziehungsaufbau fällt leichter, wenn…
* die Kinder die Zeit bekommen, die neue Bezugsperson erst einmal zu beobachten und kennenzulernen. So können sie am ehesten Vertrauen gewinnen.
* die neue Bezugsperson feinfühlig handelt und ihre Interaktionen auf das Tempo des Kindes abstimmt.
* Erwachsene die Verantwortung für den Beziehungsaufbau übernehmen.
* die Kinder bereits Straßen oder sogar Autobahnen zur Beziehungsgestaltung erworben haben und wissen, wie sie Kontakt zu Bezugspersonen aufnehmen können bzw. wie sie Beziehungsangebote beantworten können.
* das Kind Rückmeldung zu seinem Verhalten bekommt, ohne es mit seiner Person zu verknüpfen: „Du bist o.k. Das was du gerade gemacht hast, geht so nicht.“
* und Alternativen angeboten bekommt: „So, kannst du es machen…“

Der Beziehungsaufbau fällt schwerer, wenn…
* Druck von irgendeiner Seite besteht, und das Kind „schnell“ eingewöhnt werden muss.
* die neue Bezugsperson zu „forsch“ auf das Kind zugeht und wenig feinfühlig ist.
* kindliche Beziehungsangebote ignoriert oder abgelehnt werden.
* die familiale Bezugsperson für das Kind keine sichere Basis, kein sicherer Hafen ist.
* das Kind noch keine Wege, Straßen oder Autobahnen zur Beziehungsgestaltung erworben hat. Dann ist das komplette Lernfeld der Interaktionsgestaltung noch grüne Wiese.
* das Kind dysfunktionale Interaktionsmuster zum Beziehungsaufbau mitbringt.
* Rückmeldung zum Verhalten des Kindes mit der Person des Kindes verwoben ist: „Du bist nicht o.k., wenn du dich so verhältst.“
* dem Kind die Verantwortung für den Beziehungsaufbau übertragen wird.

Reicht es, in der Eingewöhnung eine tragfähige Beziehung aufzubauen?
Nein. In der Eingewöhnung wird der Grundstein für die tragfähige Beziehung gelegt. Der Beziehungsaufbau beginnt. Die Beziehung muss im Alltag auch gepflegt und gefestigt werden. Es ist also wichtig, dass jedes Kind in der Einrichtung jeden Tag positiv erlebte Interaktionen mit seinen Bezugspersonen hat.
Das bedeutet, dass Kinder im Sinne der Interaktionsqualität begleitet werden.
* Jedes Kind hat mindestens eine emotional verfügbare Bezugsperson, die es bei Bedarf ko-reguliert und/oder Emotionscoaching anbietet.
* Beziehungsangebote des Kindes auch außerhalb der Eingewöhnung wahrgenommen, erkannt und positiv beantwortet werden.
* Handlungen der Bezugsperson für die Kinder vorhersehbar sind.
* Kinder unterstützt werden, ihre inneren Handlungsimpulse angemessen auszudrücken und bei Bedarf Alternativen aufgezeigt bekommen: „So kannst du es machen.“
* Kinder bei Herausforderungen begleitet werden.
* Kinder bei Konflikten angemessen begleitetet werden.
* Bei Verhaltensherausforderungen Person und Handlung getrennt werden und Kinder Handlungsalternativen angeboten bekommen.

Und die Eltern/Familie?
Auch zu den Eltern/der Familie sollte eine Beziehung aufgebaut werden. Infos zur Beziehung zu Eltern/zur Familie des Kindes finden Sie im nachfolgenden Beitrag.

Wenn Sie beim Lesen des Beitrags den Eindruck bekommen haben, dass es ein ganz schön komplexes Thema ist, so kann ich Ihnen das nur bestätigen. Die Interaktionsgestaltung und damit die Interaktionsqualität zieht sich durch den gesamten Kita-Alltag und ist eine Schlüsselrolle für den Bildungs- und Lernprozess der Kinder.
Gerne begleite ich Sie und Ihr Team, wenn Sie sich mit der Interaktionsqualität auseinandersetzen wollen.
Herzlichst
Ihre Kerstin Müller 😊