Die Maßnahmen rund um Corona stellen das pädagogische Personal in Kitas immer wieder vor Herausforderungen, die es kreativ zu meistern gilt.

Heute möchte ich gerne mit Ihnen den Fokus auf das Thema Partizipation lenken. Geht es aktuell überhaupt, Partizipation in Kitas umzusetzen?

 

Ja, das geht. Es wird ein bisschen anders aussehen als vor Corona.

Die Vorgaben von verschiedenen Stellen haben aktuell tiefgreifende Auswirkungen auf die Gestaltung des pädagogischen Alltags. Gefühlt müssen alle Abläufe und Prozesse umgestellt werden. In diesem Zuge ist es möglich, dass sich das pädagogische Team zu folgenden Fragen Gedanken macht:
* „Wo steckt das Bildungspotenzial in dieser Situation und wie können wir es nutzen?“
* „Wie wollen wir es machen?
* „Wie genau soll der Ablauf sein?“
* „Wie wollen wir die Kinder in dieser Situation begleiten?“

Das hört sich auf den ersten Blick einfach an. Auf den zweiten Blick wird deutlich, wieviel Arbeit auch dahintersteckt. Im Grunde könnte/sollte jede Situation unter die Lupe genommen und besprochen werden, bevor sie umgestellt wird. Das ist in Corona-Zeiten nicht immer möglich, manche Neuerungen kommen so schnell, dass auch die reflektierteste Fachkraft sich nicht zu allem im Vorfeld Gedanken machen kann.

Ein weiterer Faktor, der sehr gewichtig zu Buche schlägt, ist der, dass die Corona-Maßnahmen in der Regel als Verordnungen oder Vorgaben „von oben“ kommen und nicht gefragt wird, ob das pädagogische Personal das machen möchte oder nicht. Das bedeutet auch, dass rund um Corona-Maßnahmen die Partizipation der pädagogischen Fachkräfte ausgesetzt ist.

Wie soll es also gelingen, Partizipation mit den Kindern zu leben, wenn ich mich selbst als Fachkraft in meinen Partizipationsrechten beschnitten sehe?

Hier liegt meiner Ansicht nach einer der Knackpunkte. Es fällt in der Regel leichter, Entscheidungsrechte und -macht an Kinder (in angemessener Form) weiterzugeben, wenn die Fachkräfte selbst darüber verfügen. In einem enger gesteckten Rahmen den Kindern Partizipationsrechte zu ermöglichen, braucht ein bisschen Kreativität, Mut und den Willen, Kinder entsprechend zu begleiten.

Auch hier kommt es auf die Haltung an. Bin ich prinzipiell daran interessiert, die Kinder so viel wie möglich mitentscheiden zu lassen und sie Dinge, die ihre eigene Person betreffen, selbst entscheiden zu lassen bzw. sie dabei zu begleiten. Oder kommt es mir gerade Recht, dass die Verordnungen die Entscheidungsrechte scheinbar wieder auf eine höhere Ebene holen?

Um zu verdeutlichen, wie Partizipation auch im pädagogischen Alltag zu Zeiten von Corona aussehen kann, hier ein Beispiel zu Essensituationen.

Vor Corona war es bei gelebter Partizipation üblich, dass sich Kinder selbst aus kleinen Schüsseln das Essen schöpfen und dabei selbst entscheiden können, von was nehme ich etwas, wie viel nehme ich (wie groß ist mein Hunger) und von was nehme ich mir nach. Kinder lernen in diesen Situationen, sich, ihre Bedürfnisse und ihre Fähigkeiten einzuschätzen, mit anderen zu sprechen („Reichst du mir mal den Kartoffelbrei“) und zu warten, bis sich andere Kinder genommen haben und die Schüssel da ist. Sie lernen auch, sich zurückzunehmen, nicht alles leer zu schöpfen, sondern genug für die anderen Kinder in der Schüssel zu lassen. Ganz nebenbei trainieren sie die motorischen Fähigkeiten, die es zum Schöpfen sowie Weitergeben von Schüsseln und Kannen braucht.

In Zeiten von Corona könnte Partizipation von Kindern wie folgt aussehen: Eine Fachkraft (wie im Hygienerahmenplan vorgegeben) steht am Essenswagen und teilt den Kindern das Essen aus. Das Kind, das an der Reihe ist, sagt, von was es etwas haben möchte und wieviel. So kann das Kind immer noch selbständig entscheiden, von was es essen möchte und wie groß der Hunger ist. Die motorische Übung des Schöpfens fällt weg. Es ist jedoch möglich, dass die Fachkraft das Kind noch effektiver begleitet, den eigenen Hunger zu spüren und einzuschätzen, und versichert, dass das Kind noch ein weiteres Mal kommen kann, um sich mehr zu holen.

Wenn den Kindern die Erfahrung des Schöpfens dennoch ermöglicht werden soll, kann im Freispiel Alltagsmaterial zum Schöpfen und Gießen angeboten werden.

Ganz wichtig ist es, die Kinder zu informieren, warum die Situation jetzt anders ist, als die Kinder es gewohnt sind. In der Regel verstehen es die Kinder, wenn Sie klar sind, dass es keine Willkür der Erwachsenen ist, sondern es wegen der aktuellen Situation so ist und auch wieder anders werden wird, wenn sich die Situation ändert.

Noch mehr Partizipation kommt in die Situation hinein, wenn Sie gemeinsam mit den Kindern (außerhalb von Essensituationen) überlegen:
* „Wie könnt ihr mir sagen, wieviel ihr essen wollt?“
* „Was könnt ihr tun, wenn euch das Warten bis ihr an der Reihe seid, schwer fällt?“

Und das Allerwichtigste ist, Kinder ernst zu nehmen – in jeder Situation und zu allen Gelegenheiten –, Verständnis zu haben, wenn es Kindern schwerfällt, ein selbstverständliches Recht abzugeben oder mit einer neuen Regelung umzugehen.

So können Sie gemeinsam mit den Kindern überlegen, wie sie alle damit umgehen können, dass es jetzt so ist, wie es ist und was jeder einzelne dazu braucht, Kinder und Erwachsene.

Es ist eine Notwendigkeit, dass sich das Team einig ist, wie sie die Kinder im pädagogischen Alltag begleiten möchten, damit möglichst viel Bildungspotenzial und Partizipationsmöglichkeiten genutzt werden können und sich die Kinder schnell an die neue Situation gewöhnen.

Bevor ich diesen Artikel abschließe, möchte ich noch auf eine Gefahr hinweisen: Die Punkte in den Verordnungen oder Vorgaben sind in der Regel nur sehr kurz benannt. Die Reflexionsprozesse dazu müssen in der jeweiligen Kita eigenverantwortlich vorgenommen werden.

Gerade in Essensituationen haben alle Menschen verschiedenste Autobahnen, so wie sie in der Kindheit von verschiedenen Bezugspersonen dazu begleitet wurden. Nicht selten gibt es die Erfahrung, dass eine erwachsene Bezugsperson Essen ausgeteilt hat,
* z.B. besonders viel „Kind iss, dass du groß und stark wirst.“
* oder gleich viel für jeden „Ganz gerecht, jeder bekommt das Gleiche und von allem etwas“…

Laufen Sie nicht Gefahr, dass Sie durch eine Vorgabe in alte Muster verfallen bzw. alte Autobahnen nutzen. Das kann leicht passieren, da in den Vorgaben nur die Information steht, dass es eine feste Person sein soll und nicht gleich die Ideen mitgeliefert werden, wie das im Sinne der bestmöglichen Bildung und unter Berücksichtigung von Partizipationsrechten der Kinder gelöst werden kann. Wenn Sie dann diese Vorgaben unter Stress umsetzen, kann es leicht passieren, dass Ihr Auto auf alten Straßen/Autobahnen fährt. Die sind da, die sind in der Regel ausgebaut und haben viele Jahre in Ihrer eigenen Kindheit funktioniert. Das ist für das Gehirn viel einfacher, als bewusst neue reflektierte und kreative Wege zu finden, diese Vorgaben kind- und bildungsgerecht umzusetzen.

Herzliche Grüße, passen Sie auf sich auf und stehen Sie für Ihre eigenen Partizipationsrechte ein!
Ihre Kerstin Müller